TOAST ZUM TROST

Internationaler Zoom-Talk | Mi 14. April 2021 | 20 Uhr

 

Das Theater im Pumpenhaus schreibt:

„Momentan gibt’s ja vieles, was man vermissen kann. Besonders aber fehlt der Austausch. Nicht zuletzt der zwischen Publikum und Künstler:innen. Das empfindet auch Silvia Jedrusiak so. Die Schweizer Theatermacherin – die am Pumpenhaus zuletzt mit ihren Produktionen ELTERNSCHAU und MENSCHENDINGE Erfolge gefeiert hat – belässt es aber nicht beim Klagen. Sondern schafft Abhilfe.

Unter dem schönen Titel TOAST ZUM TROST lädt sie jetzt zu einem internationalen Zoom-Talk ein. Zugeschaltet sind Mitglieder ihres künstlerischen Teams aus Deutschland und den Niederlanden, die Einblicke in ihren Alltag im Ausnahmezustand gewähren. Wobei diesem lockeren Gesprächsabend weder geografisch noch thematisch Grenzen gesetzt sind. Auch die Zuschauer:innen dürfen gern Fragen aller Art stellen – entweder vorab per Mail. Oder live im Chatbereich.

Also, machen Sie es sich mit einem Getränk Ihrer Wahl und einer wärmenden Scheibe Toast gemütlich. Dann kommt der Trost von ganz allein!“

Konzept: Silvia Jedrusiak Talk Gäste: Matthias Maat (Amsterdam), Emmanuel Edoror (Münster), Marie-Laure Fiaux (Schwerin), Christina Flick (Amsterdam), Marcela Ruiz Quintero (Düsseldorf), Assistenz: Laura Frölich Öffentlichkeitsarbeit: Rita Roring

Realisation: Formation Silvia Jedrusiak unterstützt von: Theater im Pumpenhaus gefördert durch: Fonds Darstellende Künste aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien

 EINGESANDTE ZUSCHAUERTOASTS:

Wir haben das Publikum vor der Veranstaltung dazu eingeladen, uns zu schreiben, was Ihnen Trost spendet in diesen Ausnahmezeiten. Viele TROSTMOMENTE des Publikums haben uns erreicht:

Zuschauerstimmen nach der Veranstaltung:

Tröstende Songs

Tröstendes

Amsterdam, 14.4.2021

Liebe Silvia und liebe alle dort, in den verschiedenen Wohnzimmern, hinter dünnen digitalen Wänden,

Du hast uns gefragt, was in dieser Zeit tröstet.

Es ist morgens, ich sitze am Fenster meines Amsterdammer Schlafzimmers, dort wo nun im Lockdown ein Arbeitstisch entstanden ist. Vor unserem Haus ist ein kleiner Spielplatz auf dem vor Kurzem ein paar dreckige Schneeglöckchen ihren Kopf durch die Erde gestossen haben, neben einer Bank liegen halbverwitterte Pizzakartons und Plastiktütchen vom lokalen Dealer. Die Wippe, in der Form von einem neonblauen Delphin, wartet auf Nachbarskinder.

Amsterdammer Vorstadt oder Hinterstadt – vielleicht, denke ich gerade, trösten mich Vorstädte an sich, das was in der Peripherie liegt, im Schatten der Aufmerksamkeit, was nicht pronkt sondern gezwungenerweise bescheiden ist, geflickt, improvisiert.

Oder ist Trost selbst ein zu grosses Wort dafür? Muss ich woanders anfangen. Jedenfalls, die Unaufgeregtheit einer, dieser Vorstadt beruhigt mich, und manchmal zerfleddert sie mich auch.

Den Blick aus dem Fenster wiederhole ich täglich – er ist ein anderer geworden, oder ist überhaupt erst jetzt ein Blick geworden – ich bin zu dieser Aussicht verdammt, kann nicht mehr flüchtig sein und so sehe ich andere Dinge, die mir bislang entgangen sind.

Meine übergewichtige, 80 jährige Nachbarin läuft durchs frischgemähte Gras, in der einen Hand hält sie eine Zigarette und in der anderen baumelt eine Tüte Zuckerwürfel, die sie gleich meinem Sohn schenken wird, der gerade seinen ersten Zahn bekommt. Ein dicker weisser Hund hinkt hinter ihr her, beide schwitzen.

Das war im letzten Frühling, der weisse Hund ist nun tot, aber meine Nachbarin raucht noch immer, sehr beiläufig und extreem elegant – wenn ich so alt bin fange ich auch an zu rauchen, nehme ich mir vor. Die Zuckerwürfel habe ich in einer Küchenschublade versteckt.

Mein Sohn ist nun 2 und hat mittlerweile Zähne, aber ich glaube er weiss schon längst wo die heilige Tüte mit glitzernden Zuckerstücken liegt, bald wird er heimlich seinen ersten Würfel aus der Schublade nehmen und zerbeissen – das kleine rechteckige Gebäude aus tausend Kristallen, das noch einen Moment lang der Mundfeuchte standhält und dann lautlos einstürzt, ein vages Verlangen hinterlassend. Das ihm nachts vielleicht unruhige Träume bescheren wird, die vollgesogen sind mit Bildern, Details, Vergrösserungen, einstürzenden Palästen, Unberechenbarem, Frühling.

April 2021, nun da seit einem Jahr meine Aussenarbeit stagniert, beruhigt und verwundert mich der Blick aus dem Fenster und das was ich dort beiläufig sehe. Es lenkt mich von der geradlinigen, ein bisschen leergelaufenen Vorbereitung von Projekten ab deren Zukunft unsicher ist, lässt mich schweifen, irren, tagträumen. Und auch meine innere Arbeitsdiktatorin, die mich immer wieder von einer Deadline zur nächsten peitscht, hat mittlerweile genug vom sinnlosen Produktionsdruck, und hält endlich ein bisschen die Fresse.

Die pubertierenden Nachbarstöchter streiten sich, ich höre ihre Stimmen schrill hinter den Wänden, irgendetwas mit einem Roller und der Polizei, im anderen Nachbarshaus gamet jemand und dahinter übt der Sohn des Klempners Saxophon, when autumn leaves, in konstanter Wiederholung, er hat Liebeskummer.

Unsere Wohnung hat dünne Wände die direkt angrenzen an andere Wohnungen mit dünnen Wänden, jetzt erst fällt mir auf dass sich dadurch eine eigene Zwischenwärme transportiert. Durch die Wände fühle ich mich verbunden, in einer seltsamen neuen Gemeinschaft die wir alle nicht gewählt haben. Vielleicht ein bisschen die sprichwörtliche Insel auf der wir nun gestrandet sind, aber anstelle dass mich die anderen Zeitbrüchigen erschrecken, fühle ich eine Wärme für sie, tröstet mich ihre Anwesenheit.

Vielleicht so wie ich als Kind manchmal nachts im Bett den Stimmen meiner Familie lauschte, und beruhigt war, auch wenn sie sich stritten. ich schlürfte meine warme Milch mit Honig und genoss die Intensität, das blosse Dasein der Anderen. Auch Streit ist eine aktive Form Liebe zu üben, erklärte ich mir.

Liebe Silvia, liebe alle dort. Ich freue mich darauf, euch heute Abend zu treffen und gemeinsam durch unsere digitalen Fenster mehr Trostmomente zu teilen, und zu toasten!

Hier noch ein Essay* von der italienischen Schriftstellerin Natalia Ginzburg, ein wunderbarer, untröstlicher Text. Manchmal verlange ich sehnsüchtig danach ihre Worte wieder zu lesen, dann verkrieche ich mich mit einer warmen Milch mit Honig und mit einer Zigarette, ja, ich muss anfangen zu üben, und lese es der Taube vor, die auf meinem Fenstersims gurrt.

Liefs,

Christina

*Winter in the Abruzzi, aus dem Buch The little Virtues